Was für ein Prunk im Sankt-Stephansaal des Königspalastes in der ungarischen Hauptstadt Budapest! Massige Leuchter hängen von der Kassettendecke. Das Parkett setzt sich in formvollendeter Symmetrie aus Eichen-, Mahagoni- und Walnussholzstücken zusammen.
Besucher federn in der Mitte über einen dunkelroten Läufer, schauen auf plüschige Sessel, Gemälde, einen Riesenspiegel, Dekors aus Bronze und Seide. Prachtstück ist der Keramikkamin mit kapitalen Maßen von 2,80 Metern Breite und 4,70 Metern Höhe. Er wiegt eineinhalb Tonnen und besteht aus 611 Teilen. Mittendrin prangt eine Büste, die den Namensgeber des Saals darstellt.
Stephan I. (um 969 bis 1038) war erster König von Ungarn und gilt als nationaler Schutzheiliger des Landes an Donau und Theiß. Seinen Betrachtern blickt er – ein wenig zu streng geraten – als alter Mann mit schlohweißem Rauschebart entgegen. „Wir wissen allerdings nicht, wie Stephan wirklich aussah“, räumt Palastführerin Zuzana Weszelowszka ein.
Obgleich über ein Jahrtausend seit seiner Krönung vergangen ist, hält die Verehrung von König Stephan ungebrochen an. Nicht nur der Sankt-Stephansaal untermauert das, der seit vorigem Jahr für die Öffentlichkeit zugänglich ist. Dabei handelt es sich um eine Rekonstruktion nach Originalplänen des im Zweiten Weltkrieg zerstörten Vorläufers, der Besucher erstmals bei der Pariser Weltausstellung 1900 beeindruckte.
Begleiter durch Budapest
„Die Verehrung Stephans ist grundlegend für das ungarische Selbstverständnis“, heißt es im Ökumenischen Heiligenlexikon. In Budapest gerät er zum ständigen Wegbegleiter: hoch zu Ross in der Fischerbastei des Burgviertels, als weiteres Reiterdenkmal vor der Felsenkirche der Pauliner und als Büste drinnen unter Steingewölben, dazu das Original der Krone im streng bewachten Kuppelsaal des Parlamentsgebäudes und ein Replikat mit den Kronjuwelen aus Marzipan im Schokoladenmuseum des traditionellen Kaffeehauses Szamos.
In der Sankt-Stephans-Basilika bewahrt ein Schrein das wichtigste Reliquiar – die heilige Rechte. Will heißen: die unverweste rechte Hand, die hinter der Glasscheibe deutlich erkennbar und kein Anblick für Empfindliche ist. Es wirkt regelrecht gespenstisch, wenn man den Schrein per Münzeinwurf für die Beleuchtung ins rechte Licht setzt. Die hocherhobenen Finger könnte man beim ersten Blick beinahe für eine Vogelspinne halten.
Begründer der Kirche
Warum ein Potentat wie Stephan zum Heiligen aufsteigen konnte, fasst Touristenführerin Weszelowszka zusammen: „Er führte das Königtum ein, begründete die ungarische Kirche und lebte das christliche Leben vor.“ Laut der gängigen Geschichtsschreibung hieß der König ursprünglich Vajk. Er war der Sohn des Arpadenfürsten Geza und dessen Gemahlin Sarolt und soll von einem Passauer Glaubensboten getauft worden sein. Eine andere Überlieferung besagt, dass Bischof Adalbert von Prag ihm die Taufe spendete.
Fest steht, dass Stephan im Jahr 995 Gisela von Bayern heiratete, die Schwester des späteren römisch-deutschen Kaisers Heinrich II., und 997 die Regierungsgeschäfte von seinem Vater übernahm. Gegen Ende des Jahres 1000 ließ er sich von dem mutmaßlich aus Prag gekommenen Abt Astrik zum König von Ungarn krönen, heißt es. Der Budapester Stadtführer Peter Balogh äußert allerdings Zweifel an dieser Datierung.
Im Winter herrschte damals Eiseskälte im Land. Das machte das Fortkommen ziemlich beschwerlich bis unmöglich. „Ich denke, es dürfte eher Ostern 1001 gewesen sein“, sagt Balogh, der sich eingehend mit dem heiligen Stephan beschäftigt hat. „Dann nämlich konnten die Stände aus dem ganzen Land problemloser zur Krönung kommen.“ Allerdings stand nicht jeder auf Stephans Seite: Zur Zementierung seiner Macht und des Christentums bekämpfte er aufrührerische Stammesfürsten und jene, die heidnischen Kulten nachhingen.